Andacht 02.05.2024

Was tut Daniel da nur? Zu seinem Stil, sein Gebet am offenen Fenster – für alle sichtbar – zu verrichten, hatte ich schon immer ein angespanntes Verhältnis. Überhaupt haben mich öffentliche Privatgebete wie am Gebets- und Fastensabbat als Kind und Jugendlicher immer eher unangenehm berührt. Und Jesus scheint mir ja recht zu geben, als er dieses Verhalten bei den Pharisäern scharf tadelt – und uns stattdessen das stille Kämmerlein mit der verschlossenen Tür nahelegt.

Doch als dieses Gebot veröffentlicht wurde, macht Daniel unbeeindruckt weiter. Hier ist der Grat zwischen Treue und Fanatismus schon recht schmal, oder?

Freilich tue ich Daniel unrecht, wenn ich ihn so kritisiere. Es war eine andere Zeit mit anderen Sitten. Er wollte gewiss nicht einfach provozieren, sondern er konnte gar nicht anders handeln. Ich habe mich immer gefragt: Warum betet er nicht einfach in seinem Haus, im besagten Kämmerlein, das wäre für Gott doch auch in Ordnung?! Aber er konnte wohl nicht anders handeln, er wollte nicht nur seinem Gott, sondern auch sich selbst treu bleiben.

Dennoch macht diese Geschichte deutlich: Die Bibel muss immer auch im historischen Kontext verstanden werden. Das, was damals und für Daniel richtig war, muss es für uns heute noch lange nicht sein. Treue zu Gott zeigt sich heute anders als damals – und das ist auch gut so. Ich für meinen Teil bin froh, dass der Glaube an Gott heute auf Vertrauen basiert und weniger auf Formen. Ich darf mit Gott in jeder Lage und Form sprechen, zu jeder Zeit – aber ohne Terminzwang, und ich muss keine Angst haben, wenn ich ein Gebet mal ausfallen lasse. Treue zu Gott heute bedeutet für mich, immer an ihm festzuhalten und mich ihm immer wieder zuzuwenden.

Und doch wünsche ich mir die innere Kraft, mich so wie Daniel zu Gott zu bekennen, auch wenn es mal brenzlig wird: Ja, er ist mir ein Vorbild für Treue!

Zum Bibelvers: Daniel 6,11

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